Die Krise als Chance nutzen

Unternehmensgründung in Zeiten von Corona? Ein Erfahrungsbericht von "Sneakers Unplugged"

 

21. Oktober 2020

Unsere Mitarbeiterin Svenya war auf der Suche nach veganen und möglichst nachhaltigen Sneakern. Wie sie ihre perfekten Schuhe fand und wie eine Unternehmensgründung im Handel zu Zeiten von Corona und unter der Prämisse der Nachhaltigkeit funktionieren kann, berichtet sie im Gespräch mit Christian Ohm von Sneakers Unplugged.

Svenya Scholl: Hallo Christian! Vor kurzer Zeit hast du dich mit dem nachhaltigen Onlineshop Sneakers Unplugged aktiv in die Handelswelt begeben. Welche Motivation steckt hinter der Idee, einen Shop für nachhaltige Sneakers zu eröffnen?

Christian Ohm: Da ich Sneakers liebe, wollte ich schon immer in diesem Bereich etwas aufbauen, war aber innerhalb der letzten fast 20 Jahre in einer 'normalen' Karriere in verschiedenen Branchen und Unternehmen unterwegs. Anfangs fehlten die Mittel, später schlichtweg die Zeit (und wahrscheinlich auch der Mut), um so ein Projekt in der Selbstständigkeit zu realisieren. 

Mir war schnell klar, dass es zwar Sneakerläden en masse und sogar eine Sneakerbörse zum Handeln von limitierten Modellen gibt, aber noch keinen spezialisierten Store für nachhaltige, vegane und faire Sneakers. Das wollte ich ändern, die Idee war geboren und die Umsetzung erfolgte direkt im Anschluss.

Svenya Scholl: In welchen Bereichen in deinem Unternehmen spielt Nachhaltigkeit dann konkret eine Rolle und nach welchen Aspekten wählt ihr die Labels aus, die in den Shop aufgenommen werden?

Christian Ohm: Bei uns spielt Nachhaltigkeit über alle Bereiche hinweg eine sehr große Rolle. Zum einen führen wir ausschließlich Marken mit einer ernst gemeinten Nachhaltigkeitsstrategie und mit fair produzierten, stylishen, natürlichen und umweltfreundlichen Produkten. Konkret bedeutet dies, dass die angebotenen Sneakerlabels den Herstellungs- und Vertriebsprozess von Grund auf hinterfragt und erneuert haben – sinnvollerweise, muss man hier ergänzen, denn die konventionelle Fast Fashion Schuhindustrie hat negative Auswirkungen auf uns und unsere Umwelt.

Deshalb arbeiten unsere Labels mit kleineren fair-trade-zertifizierten Betrieben zusammen, bei denen die Arbeitnehmer*innen fair und gerecht behandelt und entlohnt werden und die überwiegend in Europa produzieren, um unnötig lange Lieferwege und CO2-Ausstöße zu vermeiden. Zusätzlich wird auf die schädliche Chromgerbung des Leders verzichtet, die CO2-Belastung durch verschiedene Maßnahmen neutralisiert und mit natürlichen und biologischen Materialien wie Maisabfällen, Ananasblattfasern, Kork, Bio-Baumwolle oder Naturkautschuk gearbeitet. Darüber hinaus werden recycelte Materialien aus PET-Flaschen oder anderen Kunststoffen wiederverwertet. Fast alle Unternehmen sind in Umwelt- und Sozialprojekten aktiv, bei denen z. B. Aufforstung betrieben wird, Plastikflaschen aus den Ozeanen gefischt und Teile der Gewinne an entsprechende Organisationen gespendet werden.

Aber auch wir machen bei einer sorgfältigen Produkt- und Markenauswahl nicht halt, sondern verwenden für den plastikfreien Versand nur natürliche und wiederverwendbare Materialien wie Graspapier, silikonfreies und umweltfreundliches Papierklebeband und verschicken über DHL GO Green, bei dem die transportbedingten CO2-Emissionen der individuellen Paketmengen ausgeglichen werden. Zusätzlich reservieren wir pro verkauftem Paar Sneakers einen kleinen Betrag, um diesen an Umwelt- und Tierschutzorganisationen zu spenden oder uns an konkreten, transparenten und messbaren Nachhaltigkeitsprojekten zu beteiligen.

Svenya Scholl: Covid-19 stellt aktuell viele Menschen und besonders Händler vor große Herausforderungen. Trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb? - hast du dich entschieden, den Onlineshop zu starten. Wie ist es dir damit ergangen? Konntest du bereits Hürden oder vielleicht sogar Chancen für dein Unternehmen identifizieren, die die aktuelle Lage mit sich bringt?

Christian Ohm: Die aktuelle Coronapandemie ist – neben den gesundheitlichen Risiken und Auswirkungen – eine Zäsur für alle beruflichen, persönlichen und gesellschaftlichen Bereiche, die es in diesem Ausmaß in der modernen Zeit so noch nicht gab und die alles und jeden betrifft. In meinem Fall gab sie wegen einer Standortschließung meines Arbeitgebers auch den Anstoß zu gründen. Darin sah ich die Chance, meinen Traum der Selbstständigkeit umzusetzen und meine ganze Energie diesem Thema zu widmen.
Wir haben in unseren ersten Wochen durchweg positive Erfahrungen sammeln dürfen. Ein Onlineshop ist weniger ressourcenintensiv und auch weniger anfällig für Lockdown-Beschränkungen als ein stationäres Geschäft, aber im Jahr 2020 ist auch ein Onlineshop kein Selbstläufer und erfordert viel Arbeit und Einsatz.

Ich bin davon überzeugt, dass Corona als eine Art Brandbeschleuniger Ineffizienzen offenlegen, die Digitalisierung beschleunigen und auch die Art und Weise, wie wir arbeiten und arbeiten werden, signifikant und nachhaltig verändern wird. Ich glaube nicht, dass ein ‚weiter so‘ in einer Post-Corona-Welt zielführend oder erfolgreich sein wird und bin davon überzeugt, dass diese Krise eine einmalige Chance für Unternehmen, aber auch Privatpersonen ist, um alle Bereiche, Prozesse und Abläufe kritisch zu hinterfragen und Veränderungsmaßnahmen einzuleiten oder sich selbst beruflich neu aufzustellen.

Svenya Scholl: Ich – als eine der ersten Kundinnen von Sneakers Unplugged – bin über eine einfache Google-Suche auf den Shop aufmerksam geworden, aber man findet euch auch bei Social Media, wo ihr sehr aktiv seid. Wie wichtig ist Social Media für euren Shop?

Christian Ohm: Unsere Zielgruppen sind eher jünger, progressiv und in urbanen, post-modernen Milieus zu finden, daher ist Social Media – und Online Marketing generell – überlebenswichtig und absolut essenziell für uns, um diese Zielgruppen erreichen zu können. In der Kommunikation versuchen wir auch neue Wege zu gehen. Wir möchten Personen erreichen, für die das Thema Nachhaltigkeit sehr wichtig ist, die aber bei ihrem Sneakerkauf nicht auf Style verzichten möchten. Dieser Ansatz ist über Social Media sehr gut abbildbar. 

Wichtig ist für uns, dass wir die Wünsche und Bedürfnisse unserer Kund*innen kennen, ihre Erwartungen nicht nur erfüllen, sondern übertreffen und durchweg konsistent über alle Kanäle hinweg kommunizieren. Anfangs ist dabei die Lernkurve noch sehr steil und wir führen auch viele ‚Test & Learn‘-Experimente durch, um das Verständnis und die Einsichten, was funktioniert und was nicht, aufzubauen. In der Realität ist eine Marktdurchdringung für kleine Händler wie uns aber unglaublich schwer, da wir weder über die Ressourcen, noch die Mittel verfügen, um – anders, als es die großen Onlinehändler oder Handelsketten können – große Summen in Onlinewerbung oder Influencer Marketing zu investieren. Daher ist es für uns sehr wichtig, einen klaren Fokus zu setzen, um sich nicht in zu vielen Aktivitäten zu verzetteln.   

Svenya Scholl: Nachhaltigkeit bedeutet ja nicht nur Umweltfreundlichkeit, sondern auch unternehmerische Weitsicht für langfristigen Erfolg. Deshalb zu deinem Stichwort „klarer Fokus“: Gibt es konkrete Vorhaben, die du mit deinem Unternehmen zukünftig noch umsetzen möchtest (auch über den Onlineshop hinaus)?

Christian Ohm: Unser Anspruch ist der "Place to Shop" für alle zu werden, die absolut stylische und straßentaugliche Sneakers lieben, aber nach nachhaltigen, veganen und fairen Alternativen gegenüber dem Mainstream suchen. Unser Onlineshop bietet hier die richtige Plattform, aber das allein wird aus unserer Sicht nicht ausreichen, weshalb wir zukünftig einige Vorhaben umsetzen wollen.

Zum einen haben wir zwar bereits zu Anfang das größte Sortiment an nachhaltigen Sneakers, werden dieses aber zügig weiter ausbauen, um unsere Relevanz in weiteren Zielgruppen zu erhöhen. Zum anderen planen wir ab Oktober die Durchführung von Pop-Up-Stores in verschiedenen Städten. Für uns ist der direkte Kundenkontakt ein sehr wichtiges Anliegen und wir planen daher allein in diesem Jahr insgesamt drei bis fünf Pop-Up-Store-Events zu realisieren.

Dieser hybride Ansatz zwischen Online und Offline ist wichtig, um den Leuten die Möglichkeit zu geben, die Sneakers zu fühlen und anzuprobieren, da nachhaltige Sneakers für viele noch ein komplett neues Feld sind und sich nur wenige Konsument*innen vorstellen können, wie sich z.B. ein Sneaker aus Maisabfällen, Ananasblattfasern oder auch veganem Leder anfühlt. Eventuell vorhandene Vorbehalte gegenüber Qualität, Verarbeitung oder Materialbeschaffenheit können so viel besser adressiert werden.

Mittelfristig planen wir zudem die Eröffnung eines eigenen Stores in Köln, sobald wir eine geeignete Location gefunden haben.

Svenya Scholl: Mich konntest du sowohl mit deiner Unternehmensphilosophie als auch deinem Sortiment und der gesamten Kauf- und Lieferabwicklung voll überzeugen. Dann hoffe ich, dass es genauso gut für euch weitergeht! Vielen Dank, dass du uns einen kleinen Einblick hinter die Kulissen gewährt hast und dafür, dass du dir die Zeit genommen hast, meine Fragen zu beantworten. Ich wünsche dir weiterhin – auch im Namen des IFH KÖLN und des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Handel – viel Erfolg und gutes Gelingen mit Sneakers Unplugged! Vor einigen Monaten war ich dann selbst auf der Suche nach nachhaltigen Alternativen zu den bekannten großen Marken, konnte aber leider keine finden, zumindest nicht ohne erheblichen Rechercheaufwand. Entweder hat man Vorkenntnisse, googelt umfangreich oder man stolpert zufällig über neue nachhaltige Sneakerlabels oder entsprechende Werbung in den sozialen Medien.   

Quelle: IFH Köln, Mittelstands Kompetenzzentrum 

https://www.ifhkoeln.de/die-krise-als-chance-nutzen-nachhaltigkeit-im-einzelhandel/